Montag, 27. Juni 2011

DEM Schach 2011 Oberhof- Nachlese

Ich muss kurz mit Werbung anfangen.
Dieses Buch des schottischen GMs Jonathan Rowson ist eines meiner absoluten Lieblings(schach)bücher. Anstatt sich von A wie Abtausch über B wie Blockade bis hin zu Z wie Zugzwang zu hangeln, um dem Leser das Schachhandwerkszeug näher zu bringen und vorzugaukeln, dadurch problemlos an Spielstärke gewinnen zu können, (Das ist alles schon sehr wichtig, aber ein Gegner gehört auch noch zur Schachpartie dazu.) untersucht Rowson warum Schachspieler und vor allem welche Fehler sie machen, um diese in Zukunft zu vermeiden. (man muss dazu sagen, dass er in Oxford und Harvard u.a. Psychologie studiert hat, was sich sehr stark in dem Buch wiederfindet.)
Mir gefällt dieser Ansatz, er ist fürs eigene Training, aber auch fürs Nachwuchstraining hilfreich.
Das Buch ist recht nettem Stil verfasst und keine trockene Theorielektüre ... Lohnt sich!

Aus der Deutschen Meisterschaft des Nachwuchses habe ich mir 3 Partiebeispiele herausgesucht, und versuche im Sinne der Fehleranalyse mich in die Rolle der Akteure zu versetzen.

Gut ist, dass es in Oberhof keinen zweiten Handyskandal gegeben hat. Dass trotzdem auch das eine oder andere Unschöne passiert ist, ist bei einem Turnier dieser Größenordnung zwar normal, dennoch sehr schade.
In parabelartiger Form findet ihr einen möglichen Fall bei der Schachklapse.

Nun aber Zurück zum Geschehen der 32 Holzsteinchen auf 64 Feldern.
Beginnen wir in der U12. Dort hatte in der folgenden Partie Weiß die Eröffnung versaut, danach eine schlechte Stellung erhalten, kam aber mit Glück dennoch in folgende Position.
Dieses ungleichfarbige Läuferendspiel ist (welche Überraschung?!) dem Remis sehr nahe. Schwarz -dennoch weiterhin mit Ambitionen- zog: 29. ... Kh4. Sicher spielte hierbei eine Rolle, dass er die Partie bisher dominiert hat und immer noch auf den vollen Punkt aus ist.

Rowson würde diesen Zug sicher unter "Wollen" verbuchen. Schwarz wünscht sich eine weitere Aktivierung des Königs. Doch nach der weißen Antwort 30. Tg3 übernimmt Weiß das Kommando. Nun kann der schwarze König nicht mehr zurück nach h5, weil er mit Th3# mattgesetzt werden würde. Also entschloss
sich Schwarz zum ursprünglichen Plan, dem Spiel auf den Keil c2,d3,c4 mit 30. ... Lc6?. Der blaue Fisch empfiehlt hier Te6 um, h6 zu ziehen und vorher g6 zu überdecken.

Ich bin kein Anhänger von Problemschachvorträgen, aber irgendwie möchte man dafür ein neues Motiv erfinden. Wie wäre es mit G- wie Gefängnis (oder prosaisch, S- wie Selbstmatt).
Weiß hätte jetzt ein sehr bescheidener Gewinnzug zur Verfügung gestanden. Welcher?



Genau es ist 31. Le1!! Die Drohung danach lautet Kf1 Tg4+ und dann das Matt mit Th4.
Schwarz muss Material abgeben. Hat der Weißspieler aber nicht gesehen. Die Partie ging jedoch auch noch sehr turbulent weiter.
 31.c3  31...La4 32.cxd4 Ld1 33.Le3 [33.Le1 wieder ist es dieser Rückzug.] 33...cxd4 34.Kg2? droht Matt, ist aber nicht gut! [34.Lxd4 behält leichten Vorteil. 34...Te2+ 35.Kg1 h6 36.a3 g5 37.fxg5 hxg5] 34...Lxf3+ 35.Txf3 Txe3?? der letzte Fehler. [35...dxe3 36.Kf1 e2+ 37.Ke1 Kg4–+] 36.Txe3+- dxe3 37.d4 Das Bauernendspiel ist gewonnen. 3 Züge später 1:0

Nun begeben wir uns in das U16 w Turnier. Dort spielte eine Schwarzspielerin, die immerhin mit gut 200 Wertzahlpunkten weniger ausgestattet war, als ihre Kontrahentin ordentlich auf und erzielte schon vor dem 20.Zug Materialvorteil. Allerdings schaffte sie die Verwertung nicht. Nun zur Stellung:

Weiß hatte zuletzt 29. Th6 gespielt, was in Verbindung mit Txg6 einige Drohungen aufstellt. Nichtsdestotrotz gibt es genügend Züge, die dem Schwarzen weiterhin den Vorteil gewähren. Doch es kam zu A wie Angst.
Ich glaube, dass es so eine Art Angst ist, die die Herren Gerrard und Lampard befällt, wenn sie in der Nationalmannschaft zum Elfmeterpunkt müssen. Im Verein sind sie recht sichere Schützen, aber als englischer Nationalspieler kann das leicht anders sein. Jedenfalls hatte die Schwarzspielerin hier wohl einen Moment Angst vor allem, was irgendwie mit Dauerschach oder der weißen Dame zusammenhing ("Fahrigkeit"?!) und entschloss sich 29. ... Dxe2??(!) zu spielen. Klar kann man das machen. Ist sicher immer noch möglich, (aber es wird sauschwer) die Partie zu gewinnen, aber in dem Spielstärkebereich ein Turmendspiel durchprügeln, wenn man einzügig die Partie entscheiden kann?

Naja wie ihr sicher schon gemerkt habt, gewann 29. ... Txe2 wegen 30. Dxe2 Tc2 -+ sofort.
Wahrscheinlich kann man aber schon sagen, dass nach Th6 die Schwarzspielerin aus Angst den Überblick verlor.

Beispiel 3 führt uns die weibliche Königsklasse. Auffallend viele entschiedene Partien hat es in der U18w gegeben. Das Turnier lud also zum Zuschauen ein, was auch damit zusammenhing, dass die Spielerinnen das Risiko etwas höher als die Herren der Schöpfung schraubten. Hier ein Beispiel.

Diese Stellung entstand in einer Spitzenpaarung. Der schwarze Freibauer kann die Partie entscheiden. Weiß hatte zuletzt 33. Dd2-e3 gezogen, weil die Dame vom Freibauern bedroht wurde. Schwarz verpasste nun den Gewinnzug.
Es ist nötig die h-Linie zu blockieren und 33. ... h5 zu spielen. Nach 34. gxh6 sind die Drohungen auf der h- Linie aus dem Spiel genommen. Stattdessen folgte in der Partie 33. ...Tdc8?=
Mit 34. Sf6+ und Kf7 wurde folgerichtig fortgesetzt. Danach ließ Weiß jedoch (wohlmöglich in Zeitnot) und aus Angst vor Gewinn das Dauerschach was durch (35. Th7+ Lg7 Txg7+ Kxg7 und dann wechseln Th7 und Th8 + zu erreichen war, aus und spielte 35. Tc1.?? Wiederum ist nun h5 möglich. Doch wenn man die Idee einmal nicht sieht, ist es naheliegend, in Zeitnot wieder die richtige Fortsetzung zu verpassen. Somit spielte Schwarz 35. ... c2. Nun wäre wieder das Dauerschach möglich gewesen. Aller andern weißen Fortsetzungen verlieren! Somit geriet Schwarz nach 36. Kf2 Tc3-+ dann doch noch auf die Siegerstraße.

Was sind nun Ursachen hierfür. Man könnte nach Rowsonscher Klassifikation das ganze getrost und "Fahrigkeit" bzw. Verpassen des richtigen Moments einordnen. Hinzu kommt aber auch, dass es in der Partie um den Titel ging und die nervliche Belastung somit sicher hoch war. Schließlich sind beide Spielerinnen am Ende im oberen Feld gelandet. Insofern sind die hier betrachteten Züge die entscheidenden. Wohlmöglich hat zwischen Zug 30 und 40 auch Zeitnot geherrscht. Fällt aber schwer das Ganze aus der Ferne zu beurteilen.
Aber spannend ist es allemal gewesen! Und das ist die Hoffnung, die man haben muss, dass Schach sportliche Schlagzeilen schafft und nicht nur durch Doping- oder Betrugssfälle auffällig wird.

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